Willi Wiemold bereitet Band über die dreißiger und vierziger Jahre vor „Plötzlich schwenkt ein Volk um“

Gescher. Wieder einmal ist Willi Wiemold der Geschichte auf der Spur. „Gescher im 20. Jahrhundert“, sein ehrgeiziges Projekt, wartet auf Fortsetzung, nachdem der ehemalige Stadtarchivar in zwei Bänden die Jahrzehnte zwischen 1950 und 1970 aufgearbeitet hat. Aber zum 20. Jahrhundert gehört mehr: „Da fehlen noch ein paar Bände“, meint Wiemold lächelnd. Jetzt geht er auf eine besonders sensible Zeitreise: Vermutlich in einem – extra dicken– Band will er die dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts aufarbeiten: Und damit die Zeit des Nationsalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges. „Es wird Zeit“, ist sich Wiemold bewusst. Denn „die Zeitzeugen sind größtenteils schon verstorben. Es gibt nur noch wenige, die man befragen kann.“ So wird er sich auf Quellen stützen müssen, damit sein neues Werk schon im Herbst auf den Markt kommen kann.

Trupp der Wehrmacht auf dem Kirchplatz. Die Soldaten zogen durch Gescher, wo sie vorübergehend einquartiert waren. Auch dieses Foto hat Willi Wiemold für seinen neuen Geschichtsband „ausgegraben.“ Foto: az

Quellen sind für ihn neben der Tageszeitung beispielsweise die Pfarrchroniken oder die Geschichtsschreibung von Haus Hall, aber auch Protokollbücher von Vereinen. Da habe er fleißig gesammelt – auch Bildmaterial. Letzteres sei gerade aus diesem dunklen Abschnitt deutscher Geschichte nicht ganz leicht zu besorgen. Manches sei nach dem Krieg vernichtet worden. Doch bei Ebay ist Wiemold im ein oder anderen Fall fündig geworden; aus privaten Alben stammen ebenfalls erste Aufnahmen.

Bei Ebay fand der Stadtarchivar a. D. beispielsweise Aufnahmen von der Einweihung der Pankratius-Grundschule oder der Eröffnung des Freibades, das damals „Flussbadeanstalt“ hieß und sein Wasser direkt aus der Berkel einspeiste. Aber weil für den akribisch arbeitenden einstigen Stadtarchivar „das Bessere der Feind des Guten ist“, startet Wiemold einen Aufruf an seine Gescheraner Mitbürger: „Wer besitzt noch Fotos oder Schriftliches aus den dreißiger, vierziger Jahren?“, fragt Wiemold. In diesem Fall möge man sich an ihn wenden, bittet er. Konkret sucht er beispielsweise nach noch erhaltenen Feldpostbriefen, nach Tagebuch- oder sonstigen (privaten) Aufzeichnungen. Denn er weiß: „Solche Dokumente schildern meist sehr authentisch das, was zu der Zeit ablief.“

Erste Eindrücke aus den schriftlichen Aufzeichnungen dieser Jahre hat Willi Wiemold schon gesammelt, beginnend 1931, „als die Krise mit hoher Arbeitslosigkeit auch die Textilindustrie in Gescher traf.“ Dann das Schicksalsjahr 1933: „In Gescher wurde der Nationalsozialismus nicht erfunden, aber er ging auch an der Glockenstadt nicht vorbei“, formuliert Wiemold. Über 80 Prozent hätten damals die Zentrumspartei gewählt: „Nach der Machtergreifung änderte sich das.“ Wiemolds Eindruck: „Plötzlich schwenkt ein ganzes Volk um.“ So findet der Archivar Dokumente, in denen ein pensionierter Amtmann die Frau des Glockengießers Huesker auffordert, den Turnverein zu verlassen. Sie hatte während einer Versammlung den Arm nicht zum Hitlergruß gehoben... Auch jüdischen Mitbürgern wurde aufgrund des „Arierparagrafen“ der Austritt nahe gelegt.

Der Aufbruchstimmung sei in Gescher Ernüchterung gefolgt: „Die Kirche spielte hier eine große Rolle, und das war nicht im Sinne der Nazi-Ideologen.“ Kurzum: Wiemold zeichnet aus dieser dunklen Zeit „ein buntes Bild; es war nicht schwarz-weiß.“ Und er hofft auf die Unterstützung seiner Mitbürger. Willi Wiemold ist unter Tel. 7885 erreichbar.

Quelle: Allgemeine Zeitung Gescher - Von Helene Wentker 08.01.2015

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