Vor der Wüllener Kirche St. Andreas (v. l.): FranzTemary, Hubert Feldhaus und José Locks. [Bild] MLZ-Foto: Lüttich-Gür

Wüllen - Bernhard Locks war ein armer Schlucker: ohne feste Arbeit, ohne Land und ohne Aussicht, seine Situation verbessern zu können - dafür aber mit dem Traum von einem besseren Leben in Brasilien. Ob der wahr wurde? Sein Großenkel José zuckt nur mit den Schultern. "Für den Uropa wohl nicht." Er selbst aber habe eine Firma - mit 500 Beschäftigten.
Zwei Generationen benötigte der Traum also - nein, nicht der US-amerikanische vom Tellerwäscher zum Millionär, sondern seine südamerikanische Variante vom Tagelöhner zum Tiefbauunternehmer. José Locks erzählt ihn mit wenigen Sätzen - in Wüllen, dem letzten deutschen Wohnort seiner Urgroßeltern. Der 62-Jährige spricht auf portugiesisch. "Mein Vater konnte zwar noch fließend deutsch, aber nicht meine Mutter", erklärt er, und sein Reisebegleiter Franz Temary, der 1951 mit seiner Familie aus Siebenbürgen nach Brasilien ausgewandert ist, übersetzt Wort für Wort.
José Locks hat den Kragen des schwarzen Wollmantels hoch geschlagen. Auch wenn dieser Tag eher mild ist, fröstelt der Mann aus dem Süden. Winter - für seine Urgroßeltern noch selbstverständlich - bleibt ihm fremd. Hubert Feldhaus, Vorsitzender des Wüllener Heimatvereins, führt den Gast aus Übersee zur Kirche. "Der rechte Teil", Feldhaus deutet auf den mächtigen roten Anbau, "wurde erst 1871 errichtet". "Hier aber", ergänzt er und öffnet die Seitentür zum linken Teil, "haben sich schon Ihre Urgroßeltern das Ja-Wort gegeben" - am 30. August 1859. "Immer mehr Menschen versuchten damals, sich als Tagelöhner durchzubringen, aber die Arbeit wurde ja nicht mehr", so Feldhaus zwischen den hölzernen Kirchenbänken. Industrie gab es in Ahaus noch nicht, "da lebten weniger Menschen als hier".
1862 starten Bernhard und Elisabeth Locks, geborene Frankemölle mit ihrem zweijährigen Töchterchen von Antwerpen in ein Land, von dem sie wenig mehr wissen, als dass es dort besser sei als in der Heimat - ein Wunsch, der sich zunächst ins Gegenteil verkehrt: Das Kind stirbt auf der mehr als zweimonatigen Überfahrt. Endlich angekommen erhält das Paar zwar fünf Hektar Land - dennoch kein Grund zur Freude: "Ackerbau war dort nicht möglich", berichtet José. Erst, als sich ein Geistlicher für die verzweifelten Einwanderer einsetzt, gelingt eine Umsiedelung nach Braco do Norte. In der Nähe lebt der Urenkel immer noch - inzwischen als gemachter Mann.
"Um so wichtiger ist es mir, meine Wurzeln nicht zu vergessen", sagt er, vergräbt die Hände tief in den Manteltaschen und tritt wieder hinaus in den Regen. - sy-

Donnerstag, 13. März 2008  |  Quelle: Münsterland Zeitung (Ahaus)  [gw]

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