Leben in Leibeigenschaft: Hildegard Schlutius blickt
250 Jahre zurück. Von Cappenberg nach Capelle zu ziehen, ist keine große Sache – heute. Vor 279 Jahren schon.
Die Mehrheit der Bevölkerung war damals nicht frei – auch nicht Katharina Altkappenberg.
Nicht 250 Jahre alt, aber auch schon rund 50 ist diese Aufnahme des Hofes Schulze Altkappenberg: das Elternhaus von Katharina, die nach
Nordkirchen zog. Hildegard Schlutius hat ihre Geschichte recherchiert. FOTO FOTOS GOLDSTEIN/VOM HOFE
 
Hildegard Schlutius ist Nordkirchenerin. Sie kennt sich nicht nur in der Schlossgemeinde selbst aus, sondern auch in der Geschichte der Gemeinde Nordkirchen, die in diesem Jahr 1000-Jähriges feiert. Wenn sie recherchiert und schreibt, richtet sie ihren Blick nicht nur auf die adeligen Bewohner des Schlosses, sondern auch auf die einfachen Menschen – etwa auf Katharina, die vor mehr als 250 Jahren lebte, erst in Cappenberg, später in Capelle. Schlutius hat Katharinas Geschichte aufgeschrieben – eine Zeitreise:
 
Es war ein großer Tag für Katharina Altkappenberg, als sie am 30. Juli 1743 ihren Freibrief, also die Entlassung aus der Leibeigenschaft vom Kloster Kappenberg abholen konnte. Die Ablösesumme dafür war erheblich, denn Katharina war wie auch ihre Eltern und Geschwister mit dem ganzen Hof und allem was dazu gehörte, Eigentum des Klosters gewesen. Das war ja nun vorbei.
Mit dem Kauf des Briefs hätte sie in die Stadt gehen, sich dort Arbeit suchen und nach Jahr und Tag freie Bürgerin werden können. Katharina aber sollte den Johann Bernhard Altfeld heiraten von dem gleichnamigen Hof, der mit seiner Familie dem Grafen Ferdinand von Plettenberg in Nordkirchen gehörte. Und so begab sich die Katharina nun in das Eigentum des Grafen.
 
Zahlung an den Grafen erforderlich
Ein leichtes Leben war es nicht, das dem Johann Bernhard und der Katharina bevorstand. Oft heiratete der Hoferbe, wenn der Vater schon nicht mehr bei guter Gesundheit oder bereits tot war. Der Vater Altfeld war zu der Zeit auch schon ein alter Mann mit seinen 53 Jahren. Das Alter der Mutter ist unbekannt, aber nun würde sie auch den „Löffel abgeben.“
Bei einem Generationswechsel, bei der sogenannten „Auffahrt“ – so war es nach gutsherrlichen Bedingungen festgelegt – musste eine bestimmte Geldsumme an den Eigentümer des Hofes, in diesem Fall an den Grafen Plettenberg bezahlt werden. Das war nur eine von den „ungewissen Gefällen“, die zu besonderen Gelegenheiten fällig waren.
 
Katharina bringt zehn Kinder zur Welt
Um das leisten zu können, war harte Arbeit nötig, beim Vieh im Stall und auf dem Acker. In der Küche mussten stets viele hungrige Mäuler gestopft werden und die Ernten waren im Vergleich zu heute mager, denn zum einen erlaubten die primitiven Ackergeräte noch keine gute Bodenbearbeitung, und außerdem war die Düngung mager. Kunstdünger war noch unbekannt. (...)
Die Katharina aber war eine starke Frau. Sie gebar zehn Kinder, sechs Söhne und vier Töchter. Dann jedoch ereignete sich ein großes Unglück. Das Haus brannte ab. Das war nicht selten bei der offenen Flamme der Kerzen und des Kamins – und es dauerte ungefähr drei Jahre, ehe das neue errichtet war. Wo haben die Menschen geschlafen bei der Kälte im Winter, wo haben sie gelebt? Wenig später verlor der Ehemann Johann Bernhard einen Arm durch einen Arbeitsunfall. Ein Bauer mit nur einem Arm! Das war eine Katastrophe! Wie sollte er da noch richtig arbeiten können? Er wurde bettlägerig und starb bald. Die Abgabe, die nun an die Grundherrschaft geleistet werden musste, war die härteste. Von allem, was der Bauer in seiner Lebenszeit mühsam erwirtschaftet hatte, musste nach sorgfältiger Prüfung des Bestandes die Hälfte an den Grundbesitzer Plettenberg, so auch das „Besthaupt“ von jeder Viehart, jedenfalls das beste Pferd und die beste Kuh abgegeben werden.
 
Eine besonders harte Zeit war für die Bauern die Zeit des siebenjährigen Krieges 1756 und 1763, der besonders heftig im Münsterland ausgetragen wurde. Der Altfeld klagte, dass ihm neben anderen Plünderungen alle Pferde, seine wichtigsten Arbeitsgeräte, genommen worden seien. Wie sollte er da noch den Tribut an den Grafen Plettenberg bezahlen? Für manche Höfe, die noch stärker betroffen waren, bedeutete das den Ruin.
Der Hof Altfeld im Altefelds Holz in Capelle wurde die neue Heimat von Katharina Schulze Altkappenberg, spätere Altfeld  FOTO GOLDSTEIN
 
Ärger mit dem Haus Plettenberg
Und häufig gab es Ärger mit dem Hause Plettenberg. Da wurden beispielsweise ohne jede Voranmeldung auf einem Acker, der eben frisch eingesät war, Kalksteine ausgebrochen. Bäume wurden gefällt und auf dem kürzesten Weg über die Äcker transportiert, wobei ein großer Teil des Getreides kurz vor der Ernte zerstört wurde. Ärgerlich war besonders die Tatsache, dass die Grafen Plettenberg das Geld mit vollen Händen ausgaben. Ferdinand (1690–1737) hatte teils durch den Bau des barocken Schlosses, teils durch sein sehr verschwenderisches Leben einen riesigen Schuldenberg hinterlassen. Der aber wurde durch den großen Leichtsinn des Enkels in Wien noch erheblich vergrößert.
Ob das Katharina gehört und sich darüber gegrämt hat? Sie wurde trotz ihres arbeitsreichen Lebens
90 Jahre alt und starb erst im Jahre 1808. Ein Jahr zuvor, also 1807, hatte Napoleon die revolutionäre Anordnung getroffen, dass im gesamten von ihm eroberten Gebiet, die Bauern von der Leibeigenschaft befreit werden sollten. Im Rheinland wurde die Maßnahme ziemlich rasch durchgesetzt, in Westfalen aber gab es bei dieser sogenannten „Bauernbefreiung“ noch viele Verhandlungen, die sich – teils unter dem Engagement des Freiherrn vom Stein – über Jahrzehnte hinzogen.
 
Der Bauer Altfeld hatte schließlich im Jahre 1851 die Ablösesumme von 972 Reichsthalern in jährlichen Raten von 54 Thalern, teils auch in Naturalien abgetragen. Jetzt endlich war er Herr auf eigenem Hof, und wie den Akten zu entnehmen ist, wuchs der Wohlstand rasch. Nun war auch das Leben der Bäuerin und ihrer Familie viel leichter.
 
Münsterland Zeitung 21. April 2020

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