Titanic Untergang
Als „Titanic“ 1997 in die Kinos kam, war Leo DiCaprio für Gudula Hamachers Nebensache. Sie sah zum ersten Mal in Farbe, auf welche schreckliche Weise der Cousin ihres Urgroßvaters ums Leben kam.
Anton Abbing: Ein unbekannter Titanic-Passagier aus dem Münsterland
Anton Abbing starb mit 41 Jahren beim Untergang der Titanic im Nordatlantik. © picture alliance/dpa
 
Wie die letzten Augenblicke des Lebens von Anton Abbing waren, wurde nie geklärt. Vielleicht kämpfte er im Ozean um sein Leben, vielleicht musste er aber auch vor verschlossenen Türen auf den Tod warten, weil ihm der Zugang zu den Rettungsbooten verwehrt wurde. Klar ist: Antons Leiche wurde nie gefunden. Für seine Familie in Cincinnati und in Vreden gab es keinen Abschied.
 
Hochburg für deutsche Einwanderer
Einige Tage, bevor der 41-jährige Anton Abbing an Bord der Titanic ging, hatte er mehrere Tage im Münsterland verbracht und dort die Familien seiner Eltern besucht. Zwar wurde Anton nicht in Vreden geboren, seine Eltern aber schon. Wie viele andere Menschen aus dem ländlichen Münsterland waren sie Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach einem besseren Leben nach Amerika ausgewandert. In Cincinnati, Ohio, ließen sie sich nieder. Die Stadt war Hochburg für deutsche Einwanderer. Anfang des 20. Jahrhunderts sprachen dort mehr als die Hälfte der Menschen deutsch.
 
Anton wurde 1870 in Amerika geboren, lernte das Schmiede-Handwerk und ging beruflich nach Südafrika, um nahe Johannesburg in einer Miene zu arbeiten. 1912 wollte er erstmals seit Jahren wieder nach Hause reisen - und nutzte diese Reise für einen Umweg ins Münsterland, der Heimat seiner Eltern.
 
Antons Geschichte war in der Familie stets präsent
Dort wohnt heute Gudula Hamachers. Sie gehört zum Teil der Familie, der dem Münsterland treu geblieben ist. Ihr Urgroßvater war der Cousin von Anton Abbing. Von dem Familienmitglied, das mit der berühmten Titanic unterging, ist sie schon seit Kindheitstagen fasziniert. „Wann immer die Familie zusammenkam, wurde häufig darüber gesprochen“, erinnert sich die 44-jährige Lehrerin aus Ahaus.
 
Gudula Hamacher sieht die Geschichte der Titanic mit anderen Augen: Der Cousin ihres Urgroßvaters, Anton Abbing, war an Bord und starb beim Untergang. © Montage: RN
 
Als der Meeresbiologe Robert Ballard 1985 das Wrack des Ozeanriesens im Nordatlantik entdeckte, war sie zwar erst neun Jahre alt – und doch ist die Erinnerung an diesen Gänsehaut-Moment bei Gudula Hamachers präsent. „Das eisige Grab von Anton in 3800 Metern Tiefe zu sehen, war unglaublich eindrucksvoll. Wir wussten ja auch nicht, was jetzt noch alles passieren kann, ob jetzt nicht vielleicht auch noch Antons Gepäck gefunden wird.“
 
Antons letzte Tage in Vreden
Die Ledertasche, mit der er später auf der Titanic eincheckte, hatte Anton auch mit in Vreden. Er verbrachte die Tage in dem wunderschönen roten Backsteinhaus, in dem sein Vater aufgewachsen war. Direkt am Klühnmarkt in der Vredener Mitte. Unten befand sich eine Schneiderei, in den Wohnräumen darüber lebte noch immer die Familie seines Vaters. Aber Vreden war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Stadt, die seine Eltern rund 50 Jahre zuvor verlassen hatten. Der Wohlstand hatte mit der Industrialisierung zugenommen, viele der 6000 Einwohner arbeiteten in Fabriken, die Textilien, Lederwaren und auch Treibriemen herstellten.
 
„Das eisige Grab von Anton zu sehen, war schon sehr eindrucksvoll. Wir wussten ja auch nicht, was jetzt noch alles möglich war, ob jetzt nicht vielleicht auch Antons Gepäck gefunden wird.“
GUDULA HAMACHERS
 
Hatte Anton Gold-Nuggets in seinem Gepäck?
Tausende Artefakte hat die amerikanische Bergungsfirma „RMS Titanic Inc“ seit 1985 geborgen, darunter auch Taschen und Koffer, deren Inhalt bis heute erhalten geblieben ist, weil ihn das Leder vor Mikroben schützte. Antons Tasche ist nicht darunter. Zum Inhalt wird sich in der Familie aber bis heute erzählt, es müssen wertvolle Nuggets darunter gewesen sein. Demnach habe Anton nicht als Schmied in einer südafrikanischen Miene gearbeitet, sondern dort selbst nach Gold geschürft und so seine Familie in Cincinnati unterstützt, der es nach dem Tod des Vaters Gerhard und gescheiterten Geschäftsversuchen wirtschaftlich nicht rosig ging.
 
Sollte die Tasche jemals geborgen werden, hätte die Familie wohl keinen Anspruch darauf. Es würde ihr ergehen wie den Nachfahren von Adolphe Saalfeld, einem deutschen Parfüm-Industriellen. Während er sich damals in ein Boot retten konnte, sank seine Ledertasche auf den Meeresboden. Als sie 2002 inklusive dutzender Parfümflakons geborgen wurde, erfuhren die Nachfahren das zufällig aus den Medien. Und mehr noch: Das amerikanische Bergungsunternehmen destillierte Saalfelds Parfüm und brachte es als Titanic-Duft auf den Markt. Die Familie ging bei diesem lohnenden Geschäft leer aus.
 
Das Interesse galt den toten Millionären
Die Geschichte von Anton Abbing ist selbst unter Titanic-Historikern bislang weitestgehend unbekannt geblieben. „Die Presse interessierte sich 1912 vor allem für die reichen und prominenten Passagiere, die mit der Titanic untergingen“, sagt der Schweizer Historiker Günter Bäbler, der für ein Buch über die deutschen Passagiere und Crewmitglieder auf der Titanic beratend zur Seite stand. Das Buch ist gerade erschienen und erzählt zum ersten Mal umfassend die Geschichte der Titanic aus deutscher Perspektive.

22 Deutsche zählt die Geschichte der Titanic demnach. 16 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder. Fabrikanten, Kaufleute, Auswanderer und sogar ein Mönch aus Deutschland waren an Bord. Dazu kommen einige deutschstämmige Passagiere, wie eben Anton Abbing. Ein Foto von ihm existiert nur noch im amerikanischen Stamm der Familie. In Vreden erzählt sich die Familie, dass bei Gudula Hamachers Urgroßtante einst ein großes Porträtfoto über der Küchentür hing. Seit einem Umbau des Hauses in den 20er-Jahren aber gilt es als verschollen. Und doch hütet die Familie ein Andenken an ihren Vorfahren wie einen Schatz: eine Totenkarte, die 1912 im Gedenken an Anton gedruckt wurde.
 
Ein Kohlenstreik besiegelte das Schicksal von Anton Abbing
Als Anton Vreden verließ, reiste er weiter nach Großbritannien. Die Vorfreude muss riesig gewesen sein, als er am Morgen des 10. April 1912 im Hafen von Southampton vor dem riesigen schwarzen Stahlrumpf der Titanic stand. Nicht nur, weil er dem Wiedersehen mit seiner Familie in Amerika ganz sicher entgegenfieberte. Auch, weil er auf der nagelneuen Titanic den Atlantik überqueren durfte. Denn eigentlich wollte Anton mit einem anderen Schiff reisen. Aufgrund eines Kohlenstreiks aber wurde er überraschender Weise auf das größte Schiff der Welt umgebucht.
 
10. April 1912 - Die Titanic bricht im Hafen von Southampton zu ihrer Jungfernfahrt auf. An Bord: Anton Abbing, der aus dem Münsterland stammt. ©
 
Anton reiste in der Dritten Klasse, in der zumeist Auswanderer fuhren, die in Europa alles verkauft hatten, um sich die Überfahrt leisten zu können. „Es war nicht allzu lange her, da wurden Auswanderer auf den Schiffen in großen Gemeinschaftssälen untergebracht, sie mussten sich für die Überfahrt von teilweise mehr als einer Woche ihre Verpflegung eigenständig mitbringen“, weiß Günter Bäbler. Auf der Titanic war alles anders. Die Reederei White Star Line setzte auch in der Dritten Klasse Maßstäbe. Für Anton Abbing gab es kein Bett in einem Schlafsaal, sondern einfach gehaltene, aber gemütlich eingerichtete Kabinen, deren Wände zumeist mit Föhrenholz getäfelt waren.
 
Luxus auch für Auswanderer, aber keine Rettungsboote
An weiß gedeckten Tischen des zweiteiligen Speisesaals auf dem F-Deck wurden den Passagieren drei Mahlzeiten täglich serviert. Für die Menschen gab es einen Gemeinschaftsraum für Tanz und Musik, sogar ein Raucherzimmer. Den Menschen sollte es auf der Fahrt an nichts fehlen – in der Hoffnung, dass sie ihren Freunden und Verwandten in der Heimat empfahlen, mit einem Schiff der White Star Line auszuwandern. Und doch fehlte das Wichtigste, wie sich nach vier Tagen auf See auf tragische Weise herausstellte: Auf den Decks der Dritten Klasse gab sich weit und breit keine Rettungsboote.
 
So stellte sich der deutsche Marinemaler Willy Stöwer den Untergang der Titanic vor. © Günter Bäbler
 
Die Titanic kollidierte am 14. April 1912 um 23.40 Uhr mit einem Eisberg und sank innerhalb von zwei Stunden und 40 Minuten auf den Grund des Nordatlantiks. Für Anton Abbing gab es beim Untergang der Titanic keine Rettung. Er gehört zu den 1496 Menschen, die das Unglück forderte.
 
Nächstes Jahr ist wieder eine Expedition zum Wrack der Titanic geplant. Dann dürfen auch Touristen mit in die Tauchkapsel. 106.000 Euro kostet die Fahrkarte für Passagiere. Gudula Hamachers beäugt den Tourismus kritisch: „Schließlich ist und bleibt die Titanic das Grab von fast 1500 Menschen.“ Und von ihrem Familienmitglied Anton Abbing.
 
 

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