Theo Franzbach entziffert das Nienborger „Kirchenbuch Nr. 1“
Mit dem Charme eines Telefonbuchs
 
Nienborg - Der Tag an dem wir das Licht der Welt erblicken, der Zeitpunkt, an dem wir den Bund fürs Leben schließen und der Moment, an dem wir diese Welt verlassen sind für uns von größter Bedeutung. Die Dokumentation dieser Ereignisse ist heute selbstverständlich. Das war jedoch nicht immer so.
 
Bei der Digitalisierung des ersten Nienborger Kirchenbuchs stieß Theo Franzbach auf einen seiner Vorfahren – der sogar den gleichen Namen hatte: Theodor Farnebach war im 17. Jahrhundert Küster und Organist und wurde nach dem 30-jährigen Krieg von den Burgmännern als Lehrer in Nienborg angestellt.
 
 
Bei der Digitalisierung des ersten Nienborger Kirchenbuchs stieß Theo Franzbach auf einen seiner Vorfahren – der sogar den gleichen Namen hatte: Theodor Farnebach war im 17. Jahrhundert Küster und Organist und wurde nach dem 30-jährigen Krieg von den Burgmännern als Lehrer in Nienborg angestellt. Foto: privat
 
Pastor Kestering verfasste ab 1644 das Nienborger „Kirchenbuch Nr. 1“ wie damals üblich in lateinischer Sprache, im sogenannten Kirchenlatein. Der handschriftliche Text ist in deutscher Schrift verfasst. Er schrieb mit einem Federkiel, meist war das eine präparierte Schwungfeder aus dem Flügel einer Gans. Es fällt auf, dass Taufeinträge von 1644 bis 1668 den Vornamen des Kindes, das Datum der Taufe, den Namen des Vaters und die Namen der Paten nennen. Die Mutter fand keine Beachtung. Abgesehen von einigen Ausnahmen verschweigt das knapp gehaltene Heiratsregister bis Oktober 1702 die Namen der Trauzeugen.
 
Rechtschreibung noch in den Kinderschuhen
Es ist zu beobachten, dass die Entwicklung der Rechtschreibung noch in den Kinderschuhen steckte. Man schrieb nach Gehör. Im Taufregister ist in gleicher Zeile der Nachname eines Kindes gelegentlich anders notiert als der des Vaters. Aus heutiger Sicht komplizieren einige Besonderheiten der Datierung die zeitliche Bestimmung der Ereignisse. Die vier letzten Monate des Jahres erscheinen oft in einer heute ungewohnten Form: „7bris“ ist der September, „8bris“ der Oktober, „9bris“ der November und „Xbris“ der Dezember. Darüber hinaus bezieht sich die Datierung vielfach auf kirchliche Festtage, etwa das „ Festo Michaelis“, den Tag des Erzengels Michael und aller Engel, mit dem der 29. November gemeint ist.
 
Bewegliche Feiertage
Umständlicher wird die Entschlüsselung bei beweglichen Feiertagen in ferner Vergangenheit. Ein immerwährender Kalender der kirchlichen Feiertage erleichtert die Bestimmung. Das Datum „16 Dnica Trinit 1645 – der 16. Sonntag (Dominica) nach Trinitatis entpuppt sich zum Beispiel als der 1. Oktober 1645. Joann Kestering stammte aus Schöppingen, 1636 setzte der Archidiakon ihn als Pastor in Nienborg ein. Am 13. November 1667 erlitt er einen Schlaganfall – die gesundheitliche Beeinträchtigung mit linksseitiger Lähmung ist in seiner Handschrift deutlich erkennbar. Sein Neffe, der Vicar Joannes Schmeltzer vertrat ihn, als er den Pfarrdienst nicht mehr versehen kann. Joann Kestering starb am 3. Januar 1672 in Nienborg. Unter Pastor Kestering wurden ab 1645 Kirche, Orgel und Glockenturm renoviert. 1648 lässt er zwei neue Glocken gießen und sorgt für die Erneuerung des Kircheninventars und der liturgischen Geräte.
 
Bevölkerung war stark dezimiert
Der 30-jährige Krieg war noch nicht vorbei, die Bevölkerung Nienborgs stark dezimiert. Um eine Familie zu gründen, war die Zeit denkbar schlecht – und trotzdem besiegelten noch im Oktober 1644 zwei hoffnungsvolle Paare den Bund fürs Leben. Die Familien, die den 30-jährigen Krieg überlebten, finden sich im Kirchenbuch Nr. 1. Einige profitieren in den folgenden Jahren vielleicht vom wirtschaftlichen Aufschwung, der sich nach und nach mit der Entwicklung der vorindustriellen Tuchherstellung in Nienborg einstellt. „Der zweite Lockdown während der Corona-Pandemie bescherte mir neben den bekannten Übeln auch Zeit, die sonst eher knapp bemessen ist“, sagt Theo Franzbach. Dachboden und Garten waren bereits aufgeräumt und so stand der Erfassung der Geburten- und Eheregister des ersten Nienborger Kirchenbuchs nichts mehr im Wege.
 
Schleier der Geschichte etwas lüften
„Alte Register, gleich welcher Art, haben meistens den Charme eines Telefonbuches und sträuben sich gegen die Erfassung“, lacht Franzbach. Individueller Schreibstil, Kirchenlatein und die Veränderung der Sprache erschweren das Verständnis. Andererseits erlaubt die Auseinandersetzung mit den alten Schriftstücken, den Schleier der Geschichte etwas zu lüften. Einige Namen der Familien, die damals die Schrecken des 30-jährigen Kriegs überlebten, sind heute noch, etwa acht Generationen später, noch in Nienborg präsent.
 
Auch der von Theo Franzbach – dessen Vorfahren allerdings noch auf den Namen „Farnebach“ hörten: Auf Empfehlung des Archidiakons erhielt der Küster und Organist Theodor Farnebach von den Burgmännern eine Anstellung als Lehrer in Nienborg. Aus der Ehe gingen acht in Nienborg getaufte Kinder hervor. „In väterlicher Linie ist Theodor Farnebach mein direkter Vorfahr“, hat Theo Franzbach ermittelt. „Bedenkt man, dass jede zurückliegende Generation die Anzahl der direkten Verwandten verdoppelt, dann gehörte er vor neun Generationen zu einer Gruppe von 512 Personen, die ich als meine direkten Vorfahren bezeichnen kann.“
 
Nachnamen noch heute in Gebrauch
Während sich der Vorname Theo erhalten hat, haben andere damals gebräuchliche Vornamen heute Seltenheitswert: Geisa, Sivenne, Cunegundis, Phenenna, Alheidis, Euthumia, Genovefa, Emerentiana, Elschina, Wigboldus, Rotgerus, Cornelius, Detmarus, Menso, Goswinus, Jodocus, Fastert oder Everdt. Maria und Johannes waren jedoch die beliebtesten Namen zu damaliger Zeit. Dabei variiert der Name Johannes häufig zu Johan, Joan, Joes oder Jois.
 
Im Jahr 1664 hoben fünf Paten ein kleines Mädchen aus der Taufe – und vergaßen anschließend, den Namen des Kindes eintragen zu lassen. Vielleicht war es ein besonders freudiges Ereignis...
 
Interessant sind auch Familiennamen wie Maes, Printz, Smits, Rosehrs und Crines, die es bereits vor der Entstehung des Kirchenbuches in Nienborg gab und die noch heute in Gebrauch sind.
 
Westfälische Nachrichten Mittwoch 23.12.2020
 

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