Schale. Er wirkt rastlos. Als Kind ist Andrew Frye mehr als 15 Mal umgezogen. Sein Vater war in der Armee, die Familie folgte ihm zu den verschiedenen Stützpunkten, verstreut im gesamten Gebiet der Vereinigten Staaten. Heute, so sagt er, ist er im texanischen El Paso zu Hause. Eine echte Heimat hingegen habe er nicht. Deswegen ist er auf der Suche. Weltweit will der 28-Jährige die Wurzeln seiner Familie finden. Und diese liegen unter anderem in Schale.
Andrew Frye und seine Freundin Blanca Ibanez waren in Schale auch bei einem alten Hof auf der Wiemerslage.
(Fotos: Antje Raecke; privat)Über Italien, Ungarn, die Tschechien und Polen ist Frye mit seiner Freundin Blanca Ibanez (32) im Tecklenburger Land gelandet. Ganz spontan. Denn ursprünglich sind sie seit drei Monaten in Europa, um eine Universität für ihr Medizinstudium zu finden. Anfangs eher nebenbei wird auch die Familiengeschichte aufgearbeitet. Inzwischen hat diese Arbeit allein einen Monat in Anspruch genommen.
Nach zwei Tagen in Hopsten kommen die beiden Amerikaner nach Schale, sehen sich im Ort um. Dabei treffen sie Jürgen Lubahn. Er hilft ihnen erst nur beim Kauf von Zigaretten an den tückischen deutschen Automaten. Nach einem kurzen Gespräch lädt er das Paar zu sich ein, hilft ihnen bei der Suche, zeigt ihnen alte Höfe und den Recker Karneval. Lubahn fasziniert die Hingabe, mit der Andrew Frye sich der Suche nach seinen Ahnen verschrieben hat.„Niemand hat mir je wirklich gesagt, wo ich überall Wurzeln habe“, berichtet Frye. Überall ist in seinem Fall in Deutschland, Ungarn, Irland und Schottland. Außerdem zählen einige Urahnen zu den amerikanischen Ureinwohnern (native americans).
Dieses Halbwissen habe in ihm einen inneren Konflikt, eine Unruhe ausgelöst. Die will der junge Mann jetzt stillen. Auch wenn er weiß, dass „es eine Aufgabe ist, für die ein Leben wohl nicht reicht“.
Dank Internet habe er inzwischen einige Spuren, denen es nun nachzugehen gilt. Außerdem hat er Kontakt zu einem alten College-Professor in Jacksonville, der ein Spezialist auf dem Gebiet der Ahnenforschung und beim Thema Einwanderung ist, aber alle Informationen noch auf unzähligen Papierrollen sammelt.
Im Internet hat er in mühevoller Kleinstarbeit einen Stammbaum erstellt. An dessen Ende steht bislang Gesina Adelheid Clinge geborene Wiemerslage, seine Ur-Ur-Ur-Ur-Oma, geboren 1806 in Schale, 1865 heimlich in die USA ausgewandert. Dabei habe sie wohl auch ihren Namen geändert. Keine Seltenheit, wie der Amerikaner inzwischen weiß. Auch die Schreibweise seines Namens ist heute nicht mehr die, die noch seine Vorfahren benutzten: Aus Freye wurde unter anderem Frye. Insgesamt gebe es in seiner Familie fünf verschiedene Schreibweisen des Nachnamens.
So ist vermutlich auch Bernhard Heinrich Freye, einer der ersten namentlich bekannten Schaler Auswanderer, der um 1833 nach Baltimore ging, mit Andrew Frye verwandt. Insgesamt verließen in den Jahren zwischen 1830 und 1880 mehr als 1000 Menschen die kleine Ortschaft, um in Amerika neu anzufangen. Ein großes Risiko in der damaligen Zeit. Viele Auswanderer nahmen sich daher Orte zum Ziel, wo bereits Deutsche oder gar Bekannte und Verwandte waren.
Cook County im Bundesstaat Illinois, nahe der Millionenstadt Chicago, war für die Schaler ein solcher Ort. Irgendwo gibt es sogar das Dörfchen „New Schale“ und auch eine „Schalesche Kirche“ hat es gegeben. Eingeweiht 1849, gebaut für 741,98 Dollar. Spätere Spuren finden sich in Nebraska. Dort wurde auch Andrew Frye geboren.
Durch die Kirchenbücher der evangelischen Gemeinde Schale hat sich Andrew Frye versucht zu kämpfen.
(Fotos: Antje Raecke; privat)Die Zeit in Schale ist für ihn ein Wechselbad der Gefühle. Viele bekannte Namen liest er auf Türschildern, die Tochter von Jürgen Lubahn hat für ihn viel Ähnlichkeit mit seinen Verwandten in den Staaten. Er hat Zugang zu den Kirchenbüchern, doch die Ausbeute ist enttäuschend: Die Spuren seiner Ahnen sind sehr schwer zu verfolgen. Außerdem wird die deutsche Sprache, vielmehr die Sütterlinschrift, für ihn zu einem schier unüberwindbaren Hindernis.
Dennoch sagt er: „Ich fühle mich hier sehr wohl.“ Hätte er Geld, würde er gerne ein Haus in Schale kaufen. Hätte er genug Zeit, würde er am liebsten eine Doktorarbeit über die Migration deutscher Familien aus dem Tecklenburger Land in die USA schreiben. Es macht Andrew Frye sichtlich traurig, dass er so wenig über seine Familie weiß. Und doch kann er verstehen, dass viele Einwanderer versuchten, ihre Abstammung zu verbergen: „Sie hatten einfach Angst.“ Dass deshalb viele Dinge seines „deutschen Erbes“ verloren gegangen sind, bedauere er heute sehr.
Gleichzeitig ist er stolz, dass ein Teil seiner Familie aus Schale kommt. Ist es hier doch so ordentlich, das Schulsystem gut und die Landwirtschaft seiner Meinung nach sehr fortschrittlich.
VON ANTJE RAECKE, IBBENBÜRENQuelle: wna vom 17.02.2010