Josef Wilkes über die Faszination der Ahnenforschung und seinem Respekt für die Vorfahren
20221220 DZ wilkes stammbaum cut
DZ-Foto: Marcy
Die Vorfahren im Blick: Josef Wilkes vor der Fotowand mit der „Ahnengalerie“ und mit dem Ordner zur Familiengeschichte, den sein Vater angelegt hat - darin die „Carte Civique“ aus napoleonischer Zeit.
 
Wann nahm es seinen Anfang? Es fing nicht mit ihm an, sagt Josef Wilkes. Sein Vater sei der erste gewesen. Der begann im Ruhestand systematisch mit der Erforschung der eigenen Familiengeschichte. Als er starb, übernahm Josef Wilkes die dicke Mappe mit den Stammbäumen sowie den Dokumenten, die er zusammengetragen hatte. „Vau Vau“ nennt Wilkes dies Erbstück: Vau Vau steht für „Vati's Vorarbeit“.
 
Ursprünglich hatte der Dülmener nur vor, das Vermächtnis mit der jungen, also seiner Generation fortzusetzen, „denn Vater hatte die Forschungen für seinen Bereich ja abgeschlossen“. Also machte er sich ans Werk, fügte die Daten seiner Kinder und deren Partner sowie Kindeskinder hinzu, außerdem die Daten seiner Frau Hildegard und ihrer Familie. Die stammt aus dem Sauerland, die Familie von Josef Wilkes aus dem Westmünsterland.
 
Gleichzeitig begann er, die Informationen, die sein Vater gesammelt hatte, in Excel-Tabellen zu übertragen. Eine mühselige Arbeit, die bei der Größe der Familie Wilkes und Vorfahren so garnicht zu bewerkstelligen war. Und so stiess er bereits in den 90er-Jahren auf Computer-Programme, die den Hobby-Ahnenforschern diese Arbeit erleichtern sollten.
 
Josef Wilkes entschied sich, den Kontakt zu Gleichgesinnten zu suchen. In der Arbeitsgemeinschaft (AG) WMGEN haben sich Menschen zusammengeschlossen, die sich systematisch mit Familienforschung beschäftigt, etwa Totenzettel gesammelt haben. „Heutige Totenzettel sind in der Regel sehr nüchtern, enthalten nur wenige Informationen. Früher war das anders. Auf den Totenzetteln waren etwa auch der Beruf des Verstorbenen vermerkt, wichtige Ereignisse aus seinem Leben oder seiner Familienverhältnisse“, sagt Josef Wilkes.
 
Die Datenbank der AG ist so umfangreich, dass sich der Wahl-Dülmener, der seit über 30 Jahren mit seiner Familie in Dülmen lebt, daran machte, die Arbeiten des Vaters zu vertiefen.
 
Die Digitalisierung erleichtert vieles. So sind im Bistum Münster die Kirchenbücher digital einsehbar. Man muss nicht mehr vor Ort in den Archiven der Pfarrgemeinden die Kirchenbücher durchforsten, sondern kann das bequem von zu Hause aus erledigen. Die digitalisierten Kirchenbücher reichen oft mehrere Jahrhunderte zurück, mit der Einschränkung, daß Geburtenregister 120 Jahre zurück, die Eheschließungen 100 Jahre und die Todesfälle 80 Jahre noch nicht einsehbar sind, erklärt Wilkes . Allerdings ist nicht jedes Bistum so weit mit der Digitalisierung wie Münster. Das Bistum Paderborn, zu dem das Sauerland gehört, hat in letzter Zeit nachgezogen, aber das erst 1956 gegründeten Bistum Essen mit seinen alten Gemeinden ist leider noch garnicht auf der Plattform "Matricula" vertreten, seufzt Wilkes.

Ab 1874 dann werden Geburten, Heiraten und Todesfälle bei den staatlichen Standesämtern (korrekt Personenstandsregister) erfasst. Eine Erfindung der Preußen, erklärt Wilkes. Auch hier sind viele Dokumente online einsehbar.
 
Dass Ahnenforschung ein faszinierendes Hobby ist, kann man sich leicht vorstellen. Stück für Stück können der Vergangenheit Geheimnisse entwunden werden, gewinnt das, was sich anfangs im Ungewissen verloren hat, zunehmend Konturen. An ein Ende kommt man dennoch nicht. „Es gibt immer was Neues aus alten Zeiten“, bestätigt Wilkes. Dabei werden nicht nur feine Fäden von der Gegenwart in die Vergangenheit gesponnen, sondern solche Fäden durchziehen auch die Gegenwart, spinnen sich zu anderen Menschen und Familien. Nicht selten ist es Josef Wilkes passiert, dass er mit Fremden oder Bekannten über die Ahnenforschung ins Gespräch gekommen ist und man dann Gemeinsamkeiten festgestellt hat – etwa was Herkunft und Namen betrifft. Und schon deuten sich wieder neue Seitenlinien, neue Perspektiven in der Familiengeschichte an.
 
Manchmal können einem die Vorfahren ganz nah kommen, lassen sich Jahrzehnte wie mit einem Wimpernschlag überwinden. Wilkes erzählt, dass ihn sein Beruf einmal in den Bochumer Norden führte. Dort sollte er helfen, die alte Fördermaschine im Malakow-Turm des früheren Bergwerks in Gang zu setzen. Er sei ganz nach oben gestiegen ist, erzählt er, und habe sich dabei gefragt, ob er nicht genau dort unterwegs sei, wo sein Urgroßvater schon viele Jahre vor ihm hochgestiegen sei. Und ob er jetzt vielleicht das sehe, was sein Vorfahr damals auch sah. „Mein Urgroßvater väterlicherseits ist 1870 aus dem Westmünsterland nach Bochum gezogen und hat dort einige Jahre im Bergbau gearbeitet.“
 
In seinen Forschungen ist Josef Wilkes auch immer wieder mit tragischen Fällen konfrontiert – Vorfahren, die etwa an der Spanischen Grippe oder anderen Epidemien verstorben sind. Da wurden ganze Dörfer und Familien dezimiert, sagt er. Beispielsweise ist Dülmen in den Jahren 1794/95 von der "rothen ruhr" heimgesucht worden, die in nur 3 Monaten 140 Menschen dahin raffte. Schlimmer, als das, was man jetzt in der Corona-Pandemie hier erlebt habe.
 
Ohnehin bringt die Beschäftigung mit dem Schicksal und dem Leben früherer Familienmitglieder einen großen Respekt vor deren Lebensleistung hervor, findet der Dülmener. Die Unwägbarkeiten und Risiken, denen frühere Generationen ausgesetzt waren, waren hoch, und es gehörte eine gehörige Portion Lebensmut und Gottvertrauen dazu, ihnen zu begegnen und „für seine Kinder eine bessere Welt aufzubauen“.
 
Die Kindersterblichkeit war damals sehr hoch, weiß Josef Wilkes aus seinem Studium der alten Sterberegister. Aber hatte man erst einmal die gefährlichen Kinderjahre überstanden, standen die Chancen gar nicht so schlecht, dass man auch alt wurde. Tatsächlich starb so manch ein Vorfahre hochbetagt. Im Vergleich zu heute war die durchschnittliche Lebenserwartung früherer Generationen niedrig. Das habe mit der damaligen hohen Kindersterblichkeit zu tun, die mit über 50% der Todesfälle in diese Statistiken mit einfließe, sagt der Dülmener.
 
Aus dem Ordner Vau Vau holt er vorsichtig ein besonderes Dokument hervor, das sich im Familienbesitz befindet. Es stammt aus dem Jahr 1813, gehörte einem Vorfahren aus Südlohn-Oeding. Das Papier ist gräulich und ganz rau, und mit feiner, spitzer Feder sind die Daten des Besitzers eingetragen. Henri Antoine Icking hieß er, von Beruf war er Laboureur. Das klingt fein und vornehm, lacht Josef Wilkes. Tatsächlich war Jan Henrick Anton Icking ein einfacher Ackerer. Bei dem Dokument handelt es sich um eine „Carte Civique“, eine Bürgerkarte. Sie wurde von den französischen Besatzern ausgestellt, die unter Napoleon ins Münsterland gekommen waren, erläutert Wilkes. Die Übertragung in Französische habe so manchen einen Landarbeiter quasi in einen anderen Stand versetzt.
 
Das Interesse an Ahnenforschung entsteht meist erst im Alter, weiß Wilkes. Aber sein Appell an die Junge Generation ist, dass Gespräch mit Eltern und Großeltern zu suchen, um sie über Vergangenes zu befragen. Denn auch wenn Vereine wie die AG WMGEN mit ihrer Datenbank eine große Hilfe sind, um hinter den Vorhang der Vergangenheit schauen zu können, ist das Gespräch mit Zeitzeugen doch unverzichtbar.
 
>>> Wer sich für die Arbeit der AG WMGEN interessiert: Die nächste Tagung (mit Austausch) findet im Herbst 2023 in Dülmen statt.
 
Text der DZ - Dülmener Zeitung vom 24.12.2022      Claudia Marcy

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