Eine Auswanderergeschichte aus Stadtlohn
Vor 175 Jahren wanderte die Stadtlohner Familie Rolwing aus. Die Familienchronik hat den Weg zurück gefunden – wegen einer Zufallsbegegnung in einer Pommesbude.
Vor 175 Jahren wanderte die Stadtlohner Familie Rolwing aus. Die Familienchronik hat den Weg zurück gefunden – wegen einer Zufallsbegegnung in einer Pommesbude.
Dieser Holzstich aus dem Jahr 1896 zeigt die Ankunft von Auswanderern in New York. Auf diesem Weg kam auch die Familie Rolwing aus der Stadtlohner Bauerschaft Hengeler in die Neue Welt.
Sieben Wochen einer beschwerlichen Seereise lagen hinter der Stadtlohner Familie Rolwing, als endlich die Freiheitsstatue am Horizont des New Yorker Himmels auftauchte. Die Aufregung an Bord des Segelschiffs „Albers“ muss groß gewesen sein an jenem Donnerstag, den 21. August 1845.
1845 wanderte die Familie Rolwing aus Stadtlohn-Hengeler in die USA aus. Sieben Wochen dauerte die Atlantiküberfahrt von Antwerpen nach New York für auf dem Segelschiff „Albers“. © Lindsey, Benjamin J. (1915).
Für die 144 Passagiere, darunter viele Münsterländer, sollte hier in der Neuen Welt ein neues Leben beginnen. Darauf setzten auch die Rolwings alle Hoffnung: der Ackermann Heinrich Rolwing, seine Frau Maria Christina aus der Stadtlohner Bauerschaft Hengeler und ihre zahlreichen Kinder.
Mit vielen Kindern die große Überfahrt gewagt
Das Ehepaar hatte neun Kinder, alle geboren in Hengeler und getauft in St. Otger in Stadtlohn, geboren zwischen 1814 und 1834. Eine Tochter und ein Sohn waren bereits 1841 und 1842 nach Amerika ausgewandert. Jetzt folgte der Rest der großen Familie.
Das Ehepaar hatte neun Kinder, alle geboren in Hengeler und getauft in St. Otger in Stadtlohn, geboren zwischen 1814 und 1834. Eine Tochter und ein Sohn waren bereits 1841 und 1842 nach Amerika ausgewandert. Jetzt folgte der Rest der großen Familie.
Es wird wohl nicht die Abenteuerlust gewesen sein, vermutet Stadtlohns Stadtarchivar Ulrich Söbbing. „Die 40er-Jahre des 19. Jahrhunderts waren eine schlechte Zeit im Münsterland. Eine Kartoffelkrankheit führte zu mehreren Missernten und die Leinenweberei darbte angesichts der industriellen Baumwollproduktion.“ Mit anderen Worten: Die Not war groß.
Amtmann sah Auswanderer durch „verführerische Briefe“ angespornt
Der Amtmann Hecking des Amtes Stadtlohn hatte am 8. Juli 1845 indes wenig Verständnis für die Motive der Auswanderer: „Von den hier im Verlaufe von circa 2 Jahren vorgekommenen 10 Auswanderungen gehören 8 der geringen leichtgläubigen Klasse an, welche durchgehens nicht aus dem Beweggrund, daß es ihm hier an dem nötigen Erwerbe fehlt, sondern nur in der durch verführerische Briefe genährten Aussicht eines besseren Fortkommens in dem fremden Welttheile zu der Auswanderung verleitet sind.“
Der Amtmann Hecking des Amtes Stadtlohn hatte am 8. Juli 1845 indes wenig Verständnis für die Motive der Auswanderer: „Von den hier im Verlaufe von circa 2 Jahren vorgekommenen 10 Auswanderungen gehören 8 der geringen leichtgläubigen Klasse an, welche durchgehens nicht aus dem Beweggrund, daß es ihm hier an dem nötigen Erwerbe fehlt, sondern nur in der durch verführerische Briefe genährten Aussicht eines besseren Fortkommens in dem fremden Welttheile zu der Auswanderung verleitet sind.“
Stadtarchivar Ulrich Söbbing hat im Archiv Spuren von 400 Stadtlohner Auswanderern gefunden. „Wir hätten noch mehr Hinweise, wenn das Stadtarchiv im Krieg nicht zerstört worden wäre“, sagt Ulrich Söbbing und verweist darauf, dass aus Südlohn über 800 Menschen auswanderten.
Hunderte von Stadtlohnern suchten im 19. Jahrhundert wie die Rolwings ihr Glück in der Neuen Welt. Dafür mussten sie zunächst ein Gesuch stellen, um aus dem preußischen Untertanenstande entlassen zu werden. © Stadtarchiv Stadtlohn
Die Rolwings aus Hengeler indes waren keine Träumer. Sie haben ihren Weg in Amerika gemacht. Die Familie Rolwing lebte drei Jahre lang in Evansville in Indiana, wo Maria Christina Rolwing starb. Die Familie zog dann nach Texas Bend in der Nähe des Mississippi im Staate Missouri, wo sie eine Farm kaufte.
Überseekisten werden nach 176 Jahren noch in Ehren gehalten
Die Rolwings aus Hengeler sind in den USA eine große Familie geworden. Die großen Überseekisten, in denen Heinrich und Maria Christina Rolwing vor 176 Jahren ihre Kleidung, ihr Bettzeug und den Proviant für die Reise verstaut hatten, werden heute noch von Familienmitgliedern in den USA als kostbare Erinnerungsstücke in Ehren gehalten.
Die Rolwings aus Hengeler sind in den USA eine große Familie geworden. Die großen Überseekisten, in denen Heinrich und Maria Christina Rolwing vor 176 Jahren ihre Kleidung, ihr Bettzeug und den Proviant für die Reise verstaut hatten, werden heute noch von Familienmitgliedern in den USA als kostbare Erinnerungsstücke in Ehren gehalten.
Eine der Nachfahrinnen, Betty Rolwing-Darnell, hat die Geschichte der Familie Rolwing erforscht und in einem dicken Buch niedergeschrieben. Ein 236-seitiges Exemplar hat jetzt seinen Weg aus den USA ins Münsterland gefunden, obwohl es in Hengeler schon lange keine Rolwings mehr gibt.
Familie Aertker half bei der Erforschung der Familiengeschichte
Der zur amerikanischen Rolwing-Familie gehörende Tim Wessels arbeitete für die amerikanische Armee in Kaiserslautern, er besuchte jüngst Heinrich und Maria Aertker in Ahaus, um ihnen eine Familienchronik der Auswandererfamilie aus Hengeler zu überreichen.
Der zur amerikanischen Rolwing-Familie gehörende Tim Wessels arbeitete für die amerikanische Armee in Kaiserslautern, er besuchte jüngst Heinrich und Maria Aertker in Ahaus, um ihnen eine Familienchronik der Auswandererfamilie aus Hengeler zu überreichen.
Besuch aus Amerika: Tim Wessels (r.) überbrachte eine Familienchronik der Familie Rolwing an Heinrich und Maria Aertker. © privat
„Einen kleinen Beitrag haben meine Frau und ich ja zu dem Werk geleistet“, sagt Heinrich Aertker, der am Geschwister-Scholl-Gymnasium bis zum Jahr 2000 die Fächer Englisch und Religion unterrichtete. Ein Zufall hatte die Aertkers und die Rolwings vor 30 Jahren in einer Pommesbude in Ahaus zusammengeführt.
„Uns fielen zwei Ehepaare auf, die unsicher beim Bestellen waren. Meine Frau Maria bemerkte ihre Verlegenheit und bot Hilfe an. So kamen wir ins Gespräch. Sie suchten die Farm, den Bauernhof, von dem ihre Vorfahren ausgewandert sind“, erzählt Heinrich Aertker.
Der familiengeschichtlich interessierte Heinrich Aertker konnte gleich wertvolle Tipps geben. Und in Stadtlohn hatte der damalige Heimatvereinsvorsitzende Hubert Vogtt schon lange drauf gewartet, mehr über die Geschichte einzelner Bauernhöfe in Hengeler zu erfahren. Zusammen mit Bernhard Uepping half er, Licht in die Vergangenheit der gesuchten Familien zu bringen.
Pfarrer Rolwing ist im Januar gestorben
Seither sind die Aertkers mit den Rolwings in Amerika freundschaftlich verbunden. Tochter Miriam Aertker verbrachte als Schülerin ein Auslandsjahr auf Vermittlung der Rolwings in Cape Girardeau in Missouri. Dort war Richard Rolwing als Pfarrer verantwortlich für eine katholische Schule. Das ist nun schon mehr als 20 Jahre her. Inzwischen hat Miriam Aertker als Mitarbeiterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) weltweit viele Krisenregionen kennengelernt. Seit einem Jahr arbeitet sie in einem Projekt in Trinidad.
Seither sind die Aertkers mit den Rolwings in Amerika freundschaftlich verbunden. Tochter Miriam Aertker verbrachte als Schülerin ein Auslandsjahr auf Vermittlung der Rolwings in Cape Girardeau in Missouri. Dort war Richard Rolwing als Pfarrer verantwortlich für eine katholische Schule. Das ist nun schon mehr als 20 Jahre her. Inzwischen hat Miriam Aertker als Mitarbeiterin des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) weltweit viele Krisenregionen kennengelernt. Seit einem Jahr arbeitet sie in einem Projekt in Trinidad.
Am 15. Januar erhielten die Aertkers die Nachricht, dass Prälat Richard Rolwing am 11. Januar 2021 in Cape Girardeau im Alter von 93 Jahren gestorben ist. 2001 hat er in Stadtlohn bei der Fronleichnamsprozession die Monstranz getragen. Heinrich Aertker ist sich sicher: „Das war bestimmt ein Highlight in seiner langen Lebensgeschichte, in der Heimat seiner Vorfahren als Priester wirken zu dürfen.“
Münsterland Zeitung 31.01.2021 - von Stefan Grothues >Externer Link<