Rhede. „Mußestunde, Affenbrotbaum, Jahrhundert, Weltanschauung, Chor, lieber Opa, liebe Oma“ - das sind die ersten Wörter, die Hanna in ihr Schreibheft geschrieben hat. Hanna Detering ist 15 und kennt sich mit der deutschen Sprache durchaus schon aus. Die Schülerin des Bocholter Euregio-Gymnasiums lernt gerne Deutsch und Kunst. Und doch musste sie ganz neu anfangen, regelrecht Buchstaben zu malen.

Sie hat sich eine neue Schrift angeeignet, die noch älter ist als Oma Anika und Opa Kurt Detering. Die zählen beide 81 Lenze. Und Hanna kann in ihren jungen Jahren Oma und Opa einen Brief schreiben, wie die das damals gelernt haben: in der deutschen Schrift Sütterlin.


„Zufrieden sein ist große Kunst, zufrieden scheinen bloßer Dunst, zufrieden werden großes Glück, zufrieden bleiben Meisterstück“

 

 Fröhliche Urständ feierten die buchstäblich malerischen, gewöhnungsbedürftigen Buchstaben in Kursen des Seniorenbeirats sowie des Heimatvereins Rhede: Fast 50 Bürger wollten die alte, schöne Schrift lernen. Und Kursleiterin Lisa Albers (47), die sich seit bald 20 Jahren der Kalligrafie verschrieben hat und durch ihre Tante Else (Bösing, 84) mit Sütterlin Bekanntschaft machte, staunte nicht schlecht: „Die Resonanz war überwältigend. Wir mussten sogar in größere Räume umziehen.“

Sütterlin schreiben: Fast 50 Rheder zeigten Interesse.


Das Schreibheft von Hanna Detering (15) aus Rhede: akkurate Buchstaben in Sütterlin.
(Fotos: Andresen)

In der alten Schrift findet sich ihrer Meinung nach die „kindgerechte Schreibweise“ wider. Deshalb werde der erste Eindruck, es handele sich um Hieroglyphen (unleserliche Zeichen), schnell verwischt. „Die Leute haben Spaß, das zu lernen. Es hat etwas mit Kreativität zu tun, wie Kalligrafie.“

Die meisten Sütterlin-Begeisterten sind, außer Hanna und einigen anderen Jugendlichen, mittleren Alters. Lisa Albers: „Sie wollen die alten Rezepte von Mutter oder Oma lesen können, die irgendwo im Schrank verstaubten. Oder Briefe von Opa aus dem Krieg.“ Werner Eckers (66), pensionierter Lehrer und Turner beim TV Rhede, hat Geschmack gefunden: „Das ist eine herrliche Sache. Man muss sich voll auf eine saubere Schreibweise konzentrieren - einfach toll.“

„Sütterlin hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst“, berichtet Lisa Albers: Ein Experte schrieb aus Velbert, die Landfrauen im Kreis wollen wieder auf die Schulbank, und Heimatforscher fragen um Rat.

Hanna Detering findet es „einfach schön, wie die Menschen früher geschrieben haben, wie sich die Buchstaben aneinanderreihen.“Auch ihr machte die Schreibweise von s, ss und sz anfangs zu schaffen. Die Zeiten sind vorbei. Sie greift zum Stift und schreibt Oma und Opa einen Brief - in schönster deutscher Schrift. Grafiker Ludwig Sütterlin hätte seine wahre Freude!    Von Horst Andresen

Weitere Infos und Fragen zu Kursen: Lisa Albers, Telefon 02872/6318.

Quelle: Münsterländische Volkszeitung / 08.06.2010

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