Timothy Sodmann geht Ende des Monats in den Ruhestand. Dann hat er fast 20 Jahre westfälische Flurnamen erforscht. [Bild]
(Foto: Jürgen Peperhowe)

Vreden - Da hat der Zufall aber tief in die Trickkiste gegriffen: Ein Amerikaner aus Buffalo / New York studiert Germanistik. Sechs, sieben Generationen vor ihm sind seine Vorfahren aus Deutschland nach Amerika ausgewandert. „Außerdem konnte ich kein Mathe und kein Blut sehen“ , sagt Dr. Timothy Sodmann heute. 1962 fliegt er nach Deutschland, um dort weiterzustudieren. Damals war John F. Kennedy noch Präsident der USA. „Es regnete und es gewitterte, als ich losflog“, erinnert er sich. Nicht wissend, dass er nicht zurückkehren würde.

Sodmann entscheidet sich für die Uni Münster, eine Stadt, die auf seiner Deutschlandkarte – so groß wie eine Spielkarte – eineinhalb Zentimeter von Amsterdam und drei Zentimeter von Skandinavien entfernt ist. „Das sah für mich so aus, als ob ich drei Kulturen für das gleiche Geld geboten bekommen würde“, dachte sich der damals 18-Jährige.

Der amerikanische Student könnte deutsche Literatur oder Sprachwissenschaften studieren. Aber nein, er landet in der „niederdeutschen Abteilung“, beginnt „munter und glücklich“, das Plattdeutsch zu studieren, das vor 500 Jahren gesprochen wurde. Amerika war schnell weit weg. Zum Glück – so musste er nicht in den Vietnam-Krieg. Nach Magister und Doktor arbeitet er zunächst für den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, dann bewirbt er sich um die Stelle im neuen Landeskundlichen Institut Westmünsterland in Vreden, um Flurnamen zu erforschen. Und zwar westfälische.

„Man kann hier im Westmünsterland wahnsinnig viel Spaß haben“, sagt der Vater von drei Kindern heute über das Westmünsterland. Am 30. April geht er in den Ruhestand. Dann wird er fast 20 Jahre in Vreden gewesen sein. Und sagt über seine Heimat: „Ich liebe die Ecke.“

Wenn er an seinem Schreibtisch grübelt und dabei auf die höchstens knietiefe Berkel schaut, dann entdeckt er ständig neue Fragen, die er noch erforschen möchte. Das Westmünsterland sei von der Wissenschaft regelmäßig links liegen gelassen worden. „Man kann hier immer Neues entdecken. Das ist vielleicht nicht spektakulär, aber spannend“, sagt er.

So wie die Flurnamen: Sie verratenl, was wo produziert wurde: Wer heute am Pannenkamp wohnt, kann davon ausgehen, dass dort früher Dachpfannen gebrannt wurden. Wer sein Haus am Flasswinkel hat, kann sich sicher sein, dass dort einst Flachs angebaut wurde. Und wer auf „Möllerings Wiesken“ lebt, der kann sich denken, dass dort mal die Möllerings lebten, die aber vielleicht schon 1850 nach Amerika ausgewandert sind. Mit Flurnamen versucht der Mensch, in einer unwirtlichen Welt seinen Standort zu bestimmen. „Das ist eine bunte Welt mit einer 1000 Jahre alten Tradition“, findet Sodmann. Um die zu bewahren, hat er die Namen gesammelt.

Mittlerweile hat er 160 Rezensionen, Aufsätze und Bücher veröffentlicht. Zurzeit arbeitet er an seinem Abschiedsgeschenk für die Stadt Vreden. Ein Buch über die NS-Zeit. 1600 Seiten, die durchaus brisant seien. „Wenn mein Opa darin vorkommt, dann trete ich aus dem Heimatverein aus“, hat ihm schon einer gedroht. Manchmal hat er das Gefühl, dass die Anerkennung für seine Arbeit größer ist, je weiter die Entfernung zu Vreden ist. Sodmann freut sich, dass er in die Historische Kommission für Westfalen gewählt worden ist. Aber vor Ort meint er schon manchmal zu hören: „Schreibt der schon wieder ein Buch?“

Wahrscheinlich ja.

VON STEFAN WERDING, MÜNSTER
Quelle: azonline.de

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