4. Mai 2008      SONNTAGS  INTERVIEW   WOCHENPOST
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Die Islandpferde-Stuten „Lolo“ (l.) und „Suna“ (r.) freuen sich sicher darüber, dass ihr Besitzer Timothy Sodmann nun mehr Zeit für sie hat. Schließlich ist der Leiter des Landeskundlichen Instituts Vreden Ende vergangenen Monats in den Ruhestand gegangen. Foto: Weiper
„Wer Augen hat zu lesen ...!“

Dr. Timothy Sodmann im Gespräch mit der Wochenpost

Wer hätte seinerzeit gedacht, dass das 1988 gegründete und in Vreden beheimatete Lande kundliche Institut Westmünsterland des Kreises Borken nach 20 Jahren eine solch stolze Bilanz vorweisen kann: Eine Vielzahl von Publikationen, eine fruchtbare Beratungstätigkeit, ein Renommée weit über die Region hinaus – all das ist ganz maßgeblich Dr. Timothy Sodmann zu verdanken, der nun im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand tritt. Er ist heute im Sonntags iterview mit der Wochenpost, das Angela Weiper mit ihm führte:

Jetzt sind Sie im Ruhestand: Sagen Sie eher „Gott sei Dank“ oder denken Sie vielmehr: „Eigentlich kann ich das gar nicht, weil meine Arbeit hier noch gar nicht beendet ist.“?

Die Kunst ist lang, das Leben kurz.“ Für das, was allein hier im Raum an Untersuchungen zu erledigen wäre, reichen 10 x 10 Leben nicht aus. Ich bin schon seit meinem 15. Geburtstag mit Gelderwerb beschäftigt (um Schule, Studium und das „nackte“ Überleben meiner Person und später zusammen mit meiner Frau auch das unserer Familie zu bestreiten). Jetzt ist’s gut gewesen.

Wer wird Ihr Nachfolger?
Ich bin mir gar nicht so sicher, dass ich einen wirklichen Nachfolger haben werde. Wer sicher gehen möchte bei dieser Frage, sollte am besten die Mitglieder des Kreistages oder die Verantwortlichen in der Borkener Kreisverwaltung ansprechen.

Trotz Ruhestand – Arbeiten Sie an bestimmten Projekten weiter?
Ich habe schon seit Jahren meine eher „private“ Forschungsvorhaben (z.B. die mittelalterliche niederdeutsche Literatur Norddeutschlands). Da steige ich jetzt schon mit einem gemeinsamen dt.-niederländischen Projekt wieder ein. Trotz „Globalisierung“ eine unglaubliche kulturelle Vielfalt auf kleinstem Raume. Dafür ist die dt.-niederl. Landschaft „Achterhoek / Westmünsterland“ ein prächtiges Beispiel. Ich bin seit September 1962 in Westfalen und habe damals Münster als Hochschulstandort bewusst wegen der Nähe zu den Niederlanden gewählt. Für das gleiche Geld zwei Kulturkreise, oder: buy one, get two.

Was haben Sie studiert? Wie sind Sie auf den Studiengang gekommen?
Studiert habe ich deutsche, niederländische und englische Philologie. Warum: eine sonderbare Verkettung von Zufällen.

Haben Sie es irgendwann bereut nach dem Studium nicht wieder in die USA zurückgegangen zu sein?
Wollen wir mal ehrlich sein: Seit Jahrzehnten verdiene ich mit meinen Hobbies an der Uni, beim Landschaftsverband und zuletzt auch noch im Vredener Institut recht ordentlich. Außerdem, wenn‘s einem zuviel wird, kann man immer noch im Ausland Ferien genießen.

Wie sind Sie nach Vreden gekommen?
Zunächst mit dem Pkw. Die etwas exzentrische Lage innerhalb des Kreises kam sicherlich vielen Ratsuchenden aus Vreden und dem Altkreis Ahaus entgegen. Andererseits hatten natürlich die Besucher aus Raesfeld, Reken, Isselburg und Bocholt jedes Mal endlose Reisen vor sich.

Ist das Erforschen von westfälischen Flurnamen eine spannende und reizvolle Sache?
Flurnamenforschung hat schon gewisse Reize, vor allem vor dem jeweils geschichtlichen Hintergrund. In den etwa 20 Jahren meiner Tätigkeit als Institutsleiter waren Hof-, Familien- und Flurnamen nur ein Thema unter vielen.

Ist diese Forschungsarbeit von größerem öffentlichem Interesse? Kann man als Forscher damit berühmt werden oder blüht man da nicht eher im Verborgenen?

Natürlich freut man sich besonders, wenn die eigenen Bücher gelesen, zitiert und geschätzt werden, sowohl vom einheimischen Publikum als auch von der Fachwelt. Großes öffentliches Interesse gilt jedoch vor allem Sex und Verbrechen, und zwar nicht etwa im Mittealter, sondern am besten hier und heute. „Moß met lääwen!“ Ob man damit„ berühmt“ werden kann? Das wäre in diesem Metier eher ungewöhnlich.

Sind diese Ergebnisse allen zugänglich, die sich dafür interessieren?
„Wer Augen hat zu lesen ...!“

Sind die westfälischen Flurnamen zu Ende erforscht?
Westfalenweit (nie meine Aufgabe) gibt es noch genug zu tun. Auch im Westmünsterland könnte man noch den einen oder anderen Flurnamenband herausbringen.

Seit wann erforschen Sie sie uns haben bzw. hatten Sie noch andere Forschungsobjekte?

Zur Namenkunde bin ich erst in den 80er Jahren gekommen, aber wie eben gesagt, auch für mich wären nur Flurnamen eine etwas einseitige Kost. Zwischendurch die Hexenverfolgung, der 30-jährige Krieg, das napoleonische Zeitalter oder der Zweite Weltkrieg sorgten beispielsweise schon für eine willkommene Abwechslung.

Wie viele Bücher und Aufsätze haben Sie publiziert?
Bis heute habe ich etwas mehr als 160 kürzere und längere Beiträge bzw. Bücher verfasst oder herausgegeben.

Haben Sie Ihre Wahlheimat auch durch Ihre intensive Auseinandersetzung mit ihr schätzen und lieben gelernt?
Man mag es kaum glauben, aber auch hier nicht Geborene können eine unwahrscheinliche Liebe zum hiesigen Raum entwickeln. Vielleicht sehen gerade sie die kleineren Reize des Westmünsterlandes, die den Einheimischen verborgen bleiben. Wer vieles von der Welt gesehen hat, kann sich schon eher ein Urteil erlauben als derjenige, dessen Horizonte bereits hinter dem nächsten Sandberg enden.

Woran arbeiten Sie zurzeit?
Die letzten zwei Veröffentlichungen des Institutes, für die ich noch (mit-)verantwortlich zeichne, sind zur Zeit im Druck. Ende Mai oder Anfang Juni liegen sie dann vor: Ein kleineres Buch über Jodocus Hermann Nünnings Arbeit zu den Heidengräbern des Münsterlandes und, zusammen mit der Stadtlohnerin Ingeborg Höting, eine dreiteilige Geschichte der Stadt Vreden in den Jahren 1933-1945 (1 600Seiten, zahlreiche Abb.).

Was muss man ihrer Meinung als Landeskundler nach im Westmünsterland noch erforschen?
Themen gibt es „wie Sand am Meer“. Vielleicht etwas mehr aus den Bereichen Archäologie, Vor und Frühgeschichte, Bau- und Kunstgeschichte oder die Herausgabe und Auswertung von Quellen zur historischen Überlieferung, soweit - natürlich – noch vorhanden.


Persönlich Nachgefragt

Wie entspannen Sie am besten?
Bücher lesen ist leichter, als welche schreiben. Dazu kommt auch etwas Naturschutz, Wildblumenzucht.

Was lesen Sie gerade?
Nachdem ich alle Potter-Bände zweimal gelesen habe, bin ich augenblicklich wieder bei der Fachliteratur: Germanische Altertumskunde, die Eulen in Mitteleuropa und das Leben auf den Gutshöfen des Mittealters.

Was haben Sie sich für die Zeit nach Ihrer Pensionierung vorgenommen?
Ich hoffe wohl, dass man von mir weiter hören bzw. lesen wird. Sollte es wirklich knapp werden mit den öffentlichen Mitteln für die kulturgeschichtliche bzw. landeskundliche Forschung hier im Raum, wäre das für mich erst recht ein Grund, meine Anstrengungen zu intensivieren.

Wird man trotz Ruhestand noch weiter von Ihnen hören oder kehren Sie der Landeskunde vielleicht völlig den Rücken?
„Wer nicht weiß, woher er kommt, der hat wahrscheinlich auch keine Ahnung, wohin die Reise geht!“

 Quelle: Wochenpost Nr. 21 Sonntag 04.Mai 2008    [gw]

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